Wie haben Sie das Corona-Semester erlebt?
Die Lehre innerhalb von zwei Wochen auf digitale Wege umzustellen, war sehr sportlich, aber auch machbar, weil wir als HAW mit einem großartigen Support-Team - wie etwa ein eigenes Didaktik-In-Institut und die Fachbereichsinfrastruktur - in einer vergleichsweise guten Startposition waren. Gerade für neue Master-Studierende war das Ankommen natürlich schwierig, dem sind wir aber durch virtuelle Beratung effizient begegnet. Innerhalb meiner Arbeitsgruppe ließen sich die Projekte zum Glück recht einfach weiterführen, weil wir den Großteil unserer computergestützten Forschung per VPN-Verbindung von Zuhause durchführen können. Zwischenergebnisse innerhalb der Gruppe oder gar mit Partnern tiefgehend zu analysieren und zu besprechen, wird dagegen eine ständige Herausforderung bleiben; hier sind reale Treffen und das gemeinsame kreative „Bemalen“ von Whiteboards nicht zu ersetzen.
Zu welchen Themen forschen Sie?
Ich arbeite in der Materialforschung mit Computersimulationen von molekularen Systemen. Der Oberbegriff für mein Kernarbeitsgebiet ist Computational Chemistry. Ich erforsche zum Beispiel mithilfe von Partikelsimulation, wie sich langkettige Moleküle verknäulen. So will ich verstehen, wie sich ihre makroskopisch beobachtbaren Eigenschaften erklären lassen. Da meine Professur an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg in den Ingenieurwissenschaften angesiedelt ist, ist meine Forschung sehr interdisziplinär: von Physik über Chemie bis hin zu Computer Science und Ingenieurwissenschaften.
Wie sieht Ihr Hochschulalltag aus?
Durch ein Förderprogramm unserer Hochschule existieren auf drei bis fünf Jahre befristete Forschungsprofessuren, die den einzelnen Instituten zugeordnet sind. Ich bekleide eine dieser Forschungsprofessuren und bin damit den Universitätsprofessuren vom Deputat her formal gleichgestellt: Ich lehre nur 9 Semesterwochenstunden. Aufgrund meiner Forschungsprofessur habe ich in etwa gleich viel Zeit für Forschung und Lehre, hinzukommen noch Aufgaben in der Selbstverwaltung.
Wo liegen die Unterschiede zur Universitätsprofessur?
Da ich nicht eigenständig promovieren darf, muss ich viel Zeit in die Unterbringung meiner Doktoranden investieren. Sind die Doktoranden an einer Universität untergebracht, kostet die kooperative Betreuung auch mehr Zeit als bei einem „normalen“ Promotionsverfahren. Mittlerweile sind zwei meiner Doktoranden fertiggeworden. Bei einem durfte ich allerdings nicht als Prüfer dabei sein. Mit der Universität Siegen besteht jetzt für die nächsten fünf Jahre eine formale Vereinbarung, die es mir erlaubt, dort als Prüfer zu agieren, aber diese Kooperation macht unter Umständen nicht bei jedem Promovenden thematisch Sinn.
Ein weiterer Wettbewerbsnachteil gegenüber Universitäten liegt in der vollständig fehlenden Grundfinanzierung für Forschung: Wir haben deutlich weniger Mittel für Hardware und Mitarbeitende. Streng genommen habe ich überhaupt keine frei einsetzbaren Mitarbeiter, nur die, die über Drittmittelprojekte aufgabengebunden finanziert werden können.
Was erhoffen Sie sich von der hlb-Kampagne?
Das Forschungspotenzial der Hochschulen für angewandte Wissenschaften sollte voll ausgeschöpft werden. Dazu muss das Lehrdeputat auf 9 bis 12 Semesterwochenstunden reduziert werden. Wir könnten schon viel mehr erreichen, wenn uns mehr Zeit bliebe, uns mit Kollegen auszutauschen und gemeinsame Projekte voranzubringen. Es ist schließlich eine der Stärken der Hochschulen für angewandte Wissenschaften, dass wir einen viel größeren Einblick in die Anwendung haben und eng mit der Wirtschaft kooperieren.
Die hlb-Forderung „plusEins“, also nach einem wissenschaftlichen Mitarbeiter pro Lehrstuhl, ist darüber hinaus ein ganz wichtiger Bestandteil der Kampagne. Ohne einen vernünftig ausgebauten Mittelbau werden wir weiterhin massive Nachteile im Wettbewerb gegenüber den Universitäten haben.
Meine Forschungsprofessur ist ein großer Erfolg, für den ich persönlich sehr dankbar bin und der politisch von meiner Hochschule vorangetrieben wurde. Ich wünsche mir eine Verstetigung meines Deputats, aber diese Art von Leuchtturmprojekten wird den Anforderungen der Realität noch nicht gerecht. Denn als Leiter des hochschulinternen Forschungsinstituts für Technik, Ressourcenschonung und Energieeffizienz (TREE) erlebe ich täglich, dass wir eine allumfassende Lösung brauchen: Alle meine Kolleginnen und Kollegen sollten mehr Zeit für die eigene Forschung bekommen.