Wie erleben Sie die Coronakrise an der Hochschule?
Der Umstieg auf digitale Lehre hat gut funktioniert. Allerdings habe ich digitale Lehrformate schon vor der Coronakrise genutzt, etwa im Rahmen eines studentischen Working-across-borders-Projekts mit Hochschulen aus u.a. Finnland, Belgien, Kanada, Bangladesch und Indonesien. Skeptisch war ich bei der Übertragung eines Kommunikationstrainings ins Digitale. Aber selbst das ist nach sehr zeitintensiver Vorbereitung – die Ausarbeitung interaktiver digitaler Formate hat mich mehrere Nächte gekostet – gut gelaufen. Gerne würde ich ein großes Forschungsprojekt, für das ich Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Literatur und Kunst zum Thema Kontextwechsel und Kreativität befragt habe, vorantreiben. Aber dafür fehlt mir die Zeit.
Mehr Zeit für Forschung – aber auch für Lehre und Transfer, das sind die Kernforderungen der hlb-Kampagne. Warum unterstützen Sie die Kampagne?
Die Anpassung des Lehrdeputats auf 12 Semesterwochenstunden und eine WiMi-Stelle pro Professur sind für mich Voraussetzungen, damit gute Forschung und Lehre an den HAW zukünftig funktionieren kann. In meinen elf Jahren als Hochschulprofessorin wurde ich lediglich für einen Monat freigestellt, um an Forschungsprojekten zu arbeiten. Alles andere muss im Alltag nebenher gemacht werden. So lässt sich nicht effektiv und langfristig forschen. Ich finde diesen Zustand auch den Studierenden gegenüber ungerecht. Sie haben ein Recht darauf, dass ihre Professorinnen und Professoren die Chance haben, sich in die Themen zu vertiefen, die sie lehren. Auch die Durchführung eines Lehrformats wie des bereits erwähnten Working-across-borders-Projekts ist nicht mit dem normalen Zeitpensum zu schaffen.
Wieviel Mehraufwand haben Sie pro Semester?
Damit so ein internationales Projekt mit Teams aus verschiedenen Weltregionen läuft, muss ich über das Semester verteilt drei Semesterwochenstunden mehr einplanen. Ich mache das, weil mir das Projekt am Herzen liegt und ein echter Gewinn für die Studierenden ist. Klar ist aber auch, dass ich das nicht noch weitere zehn Jahre nebenher machen kann. Mit Unterstützung durch wissenschaftliche Mitarbeitende wäre das viel eher möglich. Zusätzlich betreue ich zwischen 20 und 46 Bachelor- und Masterarbeiten. Hier muss ich Konsultationen einplanen. Da es sich überwiegend um empirische Arbeiten handelt, sind dafür auch Interviewleitfäden, Fragebögen und Kategoriensysteme zu prüfen – das kostet ebenfalls Zeit; ebenso wie die Aktualisierung der Lehre.
Ich lehre beispielsweise im Moment das Modul „Trends und Prognosen“. Da letztere sich aufgrund der Coronakrise massiv verändern, ist viel Rechercheaufwand nötig, um die aktuellen Trends und Prognosen in meine Lehre einzubauen. Mit den Studierenden arbeite ich gerade auch an der sogenannten Black Swan Theorie, bei der es um das Auftreten unverhoffter Ereignisse mit enormer Tragweite geht. Das in der jetzigen Situation nicht detailliert zu beleuchten, wäre fahrlässig. Wir brauchen an den HAW dringend mehr Zeit, um unsere Lehre auf dem aktuellen Stand zu halten. Hinzu kommt dann noch die Gremienarbeit. Eine 50 bis 60 Stundenwoche ist für mich keine Seltenheit.